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Chronische Leiden
Verhindern, erkennen, richtig behandeln
Chronische Erkrankungen, ihre Früherkennung und Möglichkeiten der Behandlung, müssen in den Fokus gerückt werden. Diese Leiden werden in Zukunft noch mehr Menschen als heute betreffen – Männer und Frauen jeweils unterschiedlich. Wir brauchen mehr und bessere Betreuungsprogramme für spezifische Krankheiten und mehr Gesundheitskompetenz der Menschen. Auch die verbesserte Koordination von Leistungen zwischen Gesundheit und Pflege ist ein Muss.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet chronische Leiden als nichtübertragbare Krankheiten. Es handelt sich dabei um Krankheiten, die sich langsam entwickeln, lange dauern und eine hohe Krankheitslast verursachen [WHO 2005]. In diese Kategorie fallen vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegserkrankungen, bösartige Neubildungen, Diabetes mellitus, neuropsychiatrische Zustände und Erkrankungen des Bewegungsapparates. Häufig treten diese Erkrankungen in Kombination mit anderen Leiden auf (Komorbidität), ihre Ursachen sind nicht immer zu bestimmen [Kautsky-Willer et al 2012; Klimek et al 2014; Kautsky-Willer et al 2016; Turner et al 2013]. In den kommenden Jahren werden immer mehr Menschen davon betroffen sein, weil die Lebenserwartung steigt und die Weltbevölkerung zunimmt. Chronische Leiden verringern die Produktivität eines Landes und lassen die Ausgaben für Gesundheit stark wachsen. Dies gilt vor allem für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Leiden [Bloom et al 2011].
Lebenszeit bei chronischen Erkrankungen:
15 Länder im Vergleich
IHME 2010
Wie länger gesund leben?
All dies trifft auch auf Österreich zu – und das, obwohl sich die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems in vielen Bereichen ständig verbessert. So sind beispielsweise die Überlebensraten bei Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch bei Schlaganfall stark gestiegen [Nicholos et al 2012]. Im Vergleich zu anderen entwickelten Staaten halbierte sich zwischen 1990 und 2010 in Österreich die Krankheitslast infolge von Schlaganfall [IHME 2010, Hofmarcher et al 2017]. Eine bessere Akutversorgung führt dazu, dass sich die Österreich*innen zwar über eine hohe Lebenserwartung freuen können, aber kürzer gesund leben als Menschen in anderen reichen EU Staaten [Hofmarcher 2013]. Außerdem gibt es erhebliche Unterschiede in der gesunden Lebenserwartung zwischen den Bundesländern. Verantwortlich dafür sind die großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen [Klimont et al 2017; Glechner et al 2014; Kautsky-Willer et al 2016a; Kautsky-Willer et al 2017]. Soziale Risikofaktoren und Lebensstil könnten für die überdurchschnittlich lange Lebenszeit in Beeinträchtigung verantwortlich sein. Für Kinder unter fünf Jahren sind vor allem Tabak- und Alkoholkonsum von Erwachsenen belastend [IHME 2010].
Die Hauptursachen für beeinträchtigte Lebenszeit liegen in Österreich in erster Linie bei Rückenschmerzen, schweren Depressionen, Nackenschmerzen und anderen Erkrankungen des Bewegungsapparates [IHME 2010]. Auch die Krankheitslast infolge von Stürzen hat sich zwischen 1990 und 2010 deutlich erhöht, während sie infolge von Unfällen und Selbstmorden zurückgegangen ist.
Was Gesundheitskompetenz bringt
Menschen in Österreich verfügen über eine vergleichsweise geringe Gesundheitskompetenz („health literacy“). Vor allem fehlt es an Wissen über Gesundheitswesen und PatientInnenrechte, aber auch das Wissen über Prävention und Gesundheitsförderung lässt zu wünschen übrig. Zudem gibt es starke regionale Unterschiede: So zeigen etwa 36% der VorarlbergerInnen eine begrenzte Gesundheitskompetenz, aber 63,3% der Menschen in der Steiermark. Dabei gibt es in Österreich im Vergleich den stärksten Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz und sozial-ökonomischen Lebensbedingungen und zwischen Alter und Geschlecht [HLS-EU Consortium 2012]. Schmerzempfinden hängt ebenso mit dem Ausbildungsgrad zusammen. Personen mit hoher Gesundheitskompetenz haben weniger intensive Schmerzen [Köppen et al 2018]. Praktische, finanzielle und emotionale Unterstützung spielt gerade für ärmere Bevölkerungsgruppen – speziell in Wirtschaftskrisen– eine wichtige Rolle. Solche Unterstützungen haben positive Auswirkungen auf mehrere Gesundheitsergebnisse – auch bei Menschen, die an chronischen Erkrankungen leiden [Wilkinson & Marmot, 2003].
Mangelnde Gesundheitskompetenz führt häufig zu Gesundheitsrisiken und wenig körperlicher Aktivität. Im Durchschnitt betreiben mehr als doppelt so viele Europäer*innen wie Menschen in Österreich fast täglich Sport. Für unser Gesundheitssystem kann dies zu deutlichen Kostenanstiegen führen. Es ist zudem davon auszugehen, dass die schlechte Gesundheitskompetenz in Österreich zu mehr Krankenhausaufenthalten führen dürfte [HLS-EU Consortium 2012].
Länder mit starken sozialen Sicherheitsnetzen haben tendenziell weniger soziale Ungleichheiten in der Gesundheit. Österreich hat ein funktionierendes soziales Netz, doch es besteht großer Nachholbedarf in der Gesundheitskompetenz und der Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen. Dies betrifft vor allem Risikogruppen und Personen mit chronischen Erkrankungen. 2014 wurde die Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz ÖPGK gegründet. Sie unterstützt die Umsetzung der nationalen Gesundheitsziele und Gesundheitsförderungsstrategie.
Kooperation und Koordination gefragt
Aber es muss mehr getan werden. Unser Gesundheitssystem braucht mehr Kooperation und Koordination. Die Abstimmung der Versorgung zwischen niedergelassenen ÄrztInnen und Krankenhäusern ist ungenügend. Die Kooperation zwischen den Bereichen Gesundheit und Pflege ist nicht gut genug eingespielt. Gerade solche Modelle werden jedoch immer wichtiger, denn die Qualität der Leistungen für chronische kranke Menschen muss verbessert werden – und dies möglichst kostenschonend.
Bloom, D.E., Cafiero, E.T., Jané-Llopis, E., Abrahams-Gessel, S., Bloom, L.R., Fathima, S., Feigl, A.B., Gaziano, T., Mowafi, M., Pandya, A., Prettner, K., Rosenberg, L., Seligman, B., Stein, A.Z., & Weinstein, C. (2011). The Global Economic Burden of Noncommunicable Diseases. Geneva: World Economic Forum.
Glechner A, Harreiter J, Gartlehner G, Rohleder S, Kautzky A, Tuomilehto J, Van Noord M, Kaminski-Hartenthaler A, Kautzky-Willer A. (2014). Sex-specific differences in diabetes prevention: a systematic review and meta-analysis., Diabetologia. 2015 Feb;58(2):242-54. doi: 10.1007/s00125-014-3439-x. Epub 2014 Dec 3. Review. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25465437
HLS-EU Consortium (2012). Comparative Report of Health Literacy in Eight EU Member States. The European Health Literacy Survey HLS-EU on line publication: HTTP://WWW.HEALTH-LITERACY.EU
Hofmarcher MM. (2013). Das Österreichische Gesundheitssystem, Akteure, Daten, Analysen, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2013, Berlin 2013
Hofmarcher MM., J. Simon, G. Haidinger (2017). Stroke-units in Austria: incubators for improved health outcomes, Health Systems Improvement Across the Globe: Success Stories from 60 Countries. Edited by Jeffrey Braithwaite, Russell Mannion, Yukihiro Matsuyama, Paul Shekelle, Stuart Whittaker and Samir Al-Adawi. CRC Press 2017. Print ISBN: 978-1-4724-8204-4. eBook ISBN: 978-1-317-12328-6. https://doi.org/10.1201/9781315586359
IHME 2010 Institute for Health Metrics and Evaluation (2010). Global burden of diseases, injuries, and risk factors study 2010, Country report Austria, USA, Seattle, 2010. https://www.healthdata.org/sites/default/files/files/country_profiles/GBD/ihme_gbd_country_report_austria.pdf
Kautzky-Willer A, Dorner T, Jensby A, Rieder A. (2012). Women show a closer association between educational level and hypertension or diabetes mellitus than males: a secondary analysis from the Austrian HIS., BMC Public Health. 2012 May 30;12:392. doi: 10.1186/1471-2458-12-392. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22646095
Kautzky-Willer A, Harreiter J, Pacini G. (2016). Sex and Gender Differences in Risk, Pathophysiology and Complications of Type 2 Diabetes Mellitus., Endocr Rev. 2016 Jun;37(3):278-316. doi: 10.1210/er.2015-1137. Epub 2016 May 9. Review. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27159875
Kautzky-Willer A, Thurner S, Klimek P. (2016a). Use of statins offsets insulin-related cancer risk., J Intern Med. 2017 Feb;281(2):206-216. doi: 10.1111/joim.12567. Epub 2016 Oct 21. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27766700
Kautzky-Willer A, Harreiter J. (2017). Sex and gender differences in therapy of type 2 diabetes., Diabetes Res Clin Pract. 2017 Sep;131:230-241. doi: 10.1016/j.diabres.2017.07.012. Epub 2017 Jul 13. Review. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28779681
Klimek P, Kautzky-Willer A, Chmiel A, Schiller-Frühwirth I, Thurner S. (2015). Quantification of diabetes comorbidity risks across life using nation-wide big claims data., PLoS Comput Biol. 2015 Apr 9;11(4):e1004125. doi: 10.1371/journal.pcbi.1004125. eCollection 2015 Apr. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25855969
Klimont J., Klotz J. (2016). Lebenserwartung in Gesundheit nach Bundesland, Geburtsland und Schulbildung. Statistische Nachrichten, 9/2016
Köppen, P.J., Dorner, T.E., Stein, K.V. et al. (2018). Wien Klin Wochenschr 130: 23. https://doi.org/10.1007/s00508-017-1309-5
Nichols M, Townsend N, Luengo-Fernandez R, Leal J, Gray A, Scarborough P, Rayner M (2012). European Cardiovascular Disease Statistics 2012. European Heart Network, Brussels, European Society of Cardiology, Sophia Antipolis
ÖPGK. Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz: https://oepgk.at
Thurner S, Klimek P, Szell M, Duftschmid G, Endel G, Kautzky-Willer A, Kasper DC. (2013). Quantification of excess risk for diabetes for those born in times of hunger, in an entire population of a nation, across a century., Proc Natl Acad Sci U S A. 2013 Mar 19;110(12):4703-7. doi: 10.1073/pnas.1215626110. Epub 2013 Mar 4. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23487754
WHO (2005). Preventing chronic diseases: a vital investment. WHO global report. Geneva: World Health Organization.
Wilkinson, R., & Marmot, M. (2003). Social Determinants of Health: The Solid Facts (2nd ed.). Copenhagen: WHO Regional Office for Europe.
- einen Fokus auf schwere chronische Erkrankungen, deren Prävention, Früherkennung und Möglichkeiten der Behandlung; besonderes Augenmerk auf seltene Erkrankungen
- strukturierte Information und einen qualitätsvollen Diskurs über die Auswirkungen der Digitalisierung
- Berücksichtigung ethischer Aspekte im Kontext der Genetisierung der Medizin
- gendersensible Informationsaufbereitung: Newsletter, Infografik, gezielt auch für Selbsthilfegruppen
- Prognosen und Werkzeugkasten von Modellen zur nachhaltigen Finanzierung der Pflege
- Stärkung der Gesundheitskompetenz in allen Bereichen
- Investitionen in die Koordination von Gesundheits- und Pflegeleistungen
- Funktionierende Versorgungsstrukturen dürfen nicht zerstört werden
- „Wissenslab Chroniker*innen-Programme“ („Was wirkt für wen und wie?“)